Fallstricke internationaler Schutzrechtsprozesse: BGH stellt Anforderungen an den Inlandsbezug bei Urheberrechtsverletzungen klar
Während diese Fragen für das Markenrecht bereits seit längerem geklärt sind, hat der BGH (Urt. v. 5. Dezember 2024, Az. I ZR 50/24 – Produktfotografien) die Anforderungen nun auch für das Urheberrecht konkretisiert.
Wir fassen die Entscheidung für Sie zusammen und geben darüber hinaus einen Überblick, was bei der Verfolgung von Schutzrechtsverletzungen im Internet zu beachten ist.
1. Sachverhalt
Die Klägerin ist Herstellerin von Bekleidung und Inhaberin der Urheberrechte an den entsprechenden Produktfotografien. Mit der Beklagten, einem Unternehmen mit Sitz in Deutschland, bestand ursprünglich ein Vertragsverhältnis über die Lieferung von Bekleidungsstücken und Produktfotografien sowie die Einräumung von Nutzungsrechten an diesen Bildern.
Nach Beendigung des Vertragsverhältnisses stellte die Klägerin fest, dass über die Bildersuche einer Suchmaschine Bilder von Bekleidungsstücken als Vorschaubilder abrufbar waren. Beim Anklicken der Bilder erfolgte eine Weiterleitung auf Webseiten mit ukrainischer (.ua) bzw. kasachischer (.kz) Top-Level-Domain. Auf den Webseiten selbst wurden die Bilder jedoch nicht angezeigt, der Text war bis auf die deutschsprachigen Artikelbeschreibungen und den ebenfalls deutschsprachigen Hinweis, dass die Produktfotos nicht angezeigt werden könnten, in kyrillischer Schrift gehalten. Auf den „Kontakt“-Seiten der Webseiten wurde die Beklagte genannt.
Die Klägerin sah bereits in der Anzeige der Vorschaubilder in der Bildersuche eine Urheberrechtsverletzung und nahm die Beklagte vor dem Landgericht Hamburg auf Unterlassung, Auskunft und Schadensersatz in Anspruch.
Die Beklagte rügte die (internationale) Zuständigkeit der deutschen Gerichte, die Anwendung deutschen Urheberrechts und vertrat die Auffassung, es fehle an einem hinreichenden Inlandsbezug der Rechtsverletzung, da deren Schwerpunkt im Ausland liege.
Das Landgericht Hamburg und das Hanseatische Oberlandesgericht wiesen die Klage mit der Begründung ab, dass die angeblich rechtsverletzende Nutzungshandlung keinen Bezug zu Deutschland aufweise.
2. Die aufgeworfenen Rechtsfragen
Während die internationale Zuständigkeit und das anwendbare Recht in diesem Fall keine Probleme aufwarfen (zu den sich hier stellenden Fragen weiter unten), war der Knackpunkt des Falles die Frage, ob für die Verletzung deutschen Urheberrechts ein hinreichender Inlandsbezug erforderlich ist und ob dieser im vorliegenden Fall vorlag.
Im Markenrecht entspricht es schon länger ständiger Rechtsprechung, dass in grenzüberschreitenden Fällen zu prüfen ist, ob eine relevante Verletzungshandlung gerade im Inland vorliegt. Diese Überlegung folgt aus dem – für alle Rechte des geistigen Eigentums geltenden – Territorialitätsprinzip, wonach der Geltungsbereich eines nationalen Schutzrechts räumlich auf das jeweilige Staatsgebiet des Schutzstaates beschränkt ist. Daraus folgt, dass das Schutzrecht grundsätzlich auch nur durch eine verletzende Benutzungshandlung im Inland verletzt werden kann.
Nach der Rechtsprechung des BGH genügt insbesondere die bloße Abrufbarkeit einer Website mit (angeblich) rechtsverletzenden Inhalten nicht für die Anwendung des deutschen Markenrechts, da dies zu einer unangemessenen faktischen Ausdehnung des nationalen Kennzeichenrechts führen würde (BGH, Urt. v. 13. Oktober 2004, I ZR 163/02 – HOTEL MARITIME; BGH, Urt. v. 7. November 2019, I ZR 222/17 – CLUB HOTEL ROBINSON). Erforderlich ist vielmehr ein „wirtschaftlich relevanter Inlandsbezug“ („commercial effect“) gerade im Inland. Ob danach eine relevante Verletzungshandlung im Inland vorliegt, bedarf besonderer Feststellungen, die im Wege einer Gesamtabwägung der betroffenen Interessen und Umstände zu treffen sind.
Ob diese Grundsätze auch für das Urheberrecht gelten, war bislang zwar ganz herrschende Meinung der Instanzgerichte und der Literatur, aber noch nicht höchstrichterlich entschieden. Der BGH hatte nun Gelegenheit, diese Frage zu klären.
3. Die Entscheidung des BGH
Der Bundesgerichtshof hat die Revision erwartungsgemäß zurückgewiesen und die Entscheidungen der Hamburger Instanzgerichte bestätigt, dass die im Markenrecht entwickelten Anforderungen an die inländische Benutzungshandlung auch für das Urheberrecht gelten.
Insoweit stellt der BGH zunächst zutreffend fest, dass auch im Urheberrecht – trotz unionsrechtlicher Harmonisierung – das Territorialitätsprinzip gilt. Ebenso wie im Markenrecht drohe auch im Urheberrecht eine uferlose Ausdehnung nationaler Schutzrechte und damit eine unangemessene Beschränkung der Entfaltungsmöglichkeiten ausländischer Teilnehmer am Rechtsverkehr. Insbesondere bei notwendigerweise weltweit abrufbaren Webseiteninhalten ist daher im Einzelfall zu prüfen, ob das dem in Anspruch Genommenen vorgeworfene Verhalten im Rahmen einer Gesamtbetrachtung als inländische Verletzungshandlung angesehen werden kann, wenn es seinen Schwerpunkt im Ausland hat.
Dem steht, wie der BGH zutreffend ausführt, die Rechtsprechung nicht entgegen, wonach für die Bestimmung der internationalen Zuständigkeit gemäß § 32 ZPO bzw. Art. 7 Nr. 2 EuGVVO/Art. 5 Nr. 3 LugÜ bei Urheberrechtsverletzungen im Internet keine bestimmungsgemäße Ausrichtung auf den Gerichtsstaat erforderlich ist, sondern die bloße Abrufbarkeit des Inhalts ausreicht (BGH, Urt. v. 21. April 2016, I ZR 43/14 – An Evening with Marlene Dietrich; EuGH, Urt. v. 3. Oktober 2013, C-170/12, Rn. 42 – Pinckney).
Dies vorausgeschickt, hatte der BGH noch zu prüfen, ob im vorliegenden Fall ein hinreichender Inlandsbezug vorliegt. Für diese Beurteilung ist stets ein bunter Strauß verschiedener Indizien heranzuziehen, die nicht starr, sondern einzelfallbezogen im Sinne einer Gesamtbetrachtung anzuwenden sind. Wie bereits die Vorinstanzen verneinte auch der BGH eine inländische Verletzungshandlung und stützte sich dabei insbesondere auf folgende Erwägungen:
- Bereits die Top-Level-Domains der fraglichen Webseiten deuteten darauf hin, dass sich diese an Verkehrskreise in Kasachstan und der Ukraine richteten. Die Beklagte betreibe außerdem auch eine deutsche Website mit der Top-Level-Domain „.de“, die für deutsche Verbraucherinnen und Verbraucher einfacher und bequemer zu nutzen sei.
- Auch die Kontaktdaten (Telefonnummern und E-Mail-Adressen) wiesen keinen Bezug zu Deutschland auf.
- Ein Versand der Waren an deutsche Verbraucher sei nicht dargetan. Der Umstand, dass die Beklagte die Waren von Deutschland aus ins Ausland geliefert habe, sage nichts über den Adressatenkreis der Webseiten aus. Die Online-Angebote richteten sich, wenn überhaupt, nur an einen sehr kleinen Teil der deutschen Bevölkerung, nämlich an diejenigen Verbraucher, die daran interessiert sein könnten, Bekleidungsstücke über die fraglichen Websites zu bestellen, um sie an Freunde oder Verwandte in Kasachstan oder der Ukraine zu schicken oder von diesen nach Deutschland schicken zu lassen.
- Die Preise waren auf der Website in ukrainischer bzw. kasachischer Währung angegeben.
- Der Umstand, dass die Beklagte deutsche Nutzer nicht durch Geoblocking vom Aufruf der Webseiten ausgeschlossen hat, rechtfertigt nicht die Annahme, dass die Webseite (auch) auf Deutschland ausgerichtet ist.
- Die deutschsprachigen Artikelbeschreibungen und die Fehlermeldung wurden lediglich als Folge der (früheren) Verwendung identischer Bilder auf allen Webseiten der Beklagten angesehen.
- Der Umstand, dass nach den – zudem in ukrainischer bzw. kasachischer Sprache abgefassten – AGB auf den Webseiten deutsches Recht anwendbar sein sollte, sei für die Ausrichtung der Webseiten nicht von Bedeutung, sondern diene allein dem Eigeninteresse des Verkäufers.
4. Zusammenfassung und Blick über den Tellerrand
Die Entscheidung des BGH ist von großer praktischer Bedeutung. Nicht nur ist nunmehr klargestellt, dass eine Verletzung des deutschen Urheberrechts einen „commercial effect“ in Deutschland voraussetzt. Sie gibt dem Rechtsanwender, insbesondere im Zusammenspiel mit den Entscheidungen der Hamburger Instanzgerichte, schutzrechtsübergreifend einige wertvolle Hinweise für die praktische Prüfung einzelner Kriterien an die Hand. Die Entscheidung zeigt zudem eindrucksvoll, dass gerade bei Schutzrechtsverletzungen mit Auslandsbezug eine sorgfältige Prüfung erforderlich ist und vermeintliche Kleinigkeiten schnell zum Prozessverlust führen können.
Über den konkreten Fall hinaus ist festzuhalten, dass insbesondere bei Schutzrechtsverletzungen im Internet verschiedene Ebenen zu unterscheiden sind, die jeweils komplexe Probleme aufwerfen und schnell zu Fallstricken für die Rechtsverfolgung werden können:
4.1 Zuständigkeit:
Grundsätzlich reicht die bloße Abrufbarkeit einer Website mit schutzrechtsverletzenden Inhalten aus, um die Zuständigkeit der Gerichte dieses Mitgliedstaates gem. § 32 ZPO bzw. Art. 7 Nr. 2 EuGVVO/Art. 5 Nr. 3 LugÜ zu begründen. Jedenfalls im Anwendungsbereich der EuGVVO und des LugÜ – also bei Beklagten mit (Wohn-) Sitz im EWR – können diese jedoch aufgrund der sogenannten „Mosaik-Betrachtung“ nur über den in „ihrem“ Staat eingetretenen Schaden entscheiden (grundlegend EuGH, Urt. v. 7. März 1995, C-68/93, Rn. 33 – Shevill; für Internetsachverhalte EuGH, Urt. v. 25. Oktober 2011, C-509/09 und C-161/10, Rn. 42 f. – eDate Advertising; zum Urheberrecht EuGH, Urt. v. 3. Oktober 2013, C-170/12, Rn. 45 – Pinckney; EuGH, Urt. v. 22. Januar 2015, C-441/13, Rn. 34 – Hejduk). Für den Gesamtschaden und für Unterlassungsansprüche sind hingegen regelmäßig nur die Gerichte am (Wohn-)Sitz des Beklagten zuständig, weshalb sich in der Regel eine Klage vor den dortigen Gerichten empfehlen dürfte.
4.2 Anwendbares Recht:
Nach Art. 8 Abs. 1 Rom II-VO ist das Recht des Staates anzuwenden, für den urheberrechtlicher Schutz beansprucht wird (sog. „Schutzlandprinzip“). Nach diesem Recht sind das Bestehen des Rechts, die Rechtsinhaberschaft des Verletzten, Inhalt und Umfang des Schutzes sowie Tatbestand und Rechtsfolgen einer Rechtsverletzung zu beurteilen. Demnach ist deutsches Recht anzuwenden, wenn in Deutschland urheberrechtlicher Schutz beansprucht wird.
4.3 Inlandsbezug:
Letztlich erfordert die tatsächliche Verletzung des deutschen Urheberrechts aber einen wirtschaftlich relevanten Inlandsbezug („commercial effect“) der Verletzungshandlung – anders als bei der Zuständigkeit reicht also die bloße Abrufbarkeit einer Webseite mit rechtsverletzenden Inhalten nicht aus. Dies hat der BGH nun auch für das Urheberrecht klargestellt. Wann ein solcher Inlandsbezug vorliegt, hängt zum einen vom jeweiligen Urheberrecht (z.B. das Recht der öffentlichen Zugänglichmachung, § 19a UrhG) ab und ist zum anderen immer Gegenstand einer Einzelfallbetrachtung anhand eines bunten Straußes verschiedener Indizien.
Mit unserer umfassenden und langjährigen Erfahrung mit komplexen grenzüberschreitenden Verfahren im Urheber-, Marken- und Wettbewerbsrecht unterstützen wir Sie, diese Fallstricke auf der Aktivseite zu vermeiden und sie auf der Passivseite aufzudecken.
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