Die Farbe Orange und erworbene Unterscheidungskraft – der lange Weg von Veuve Clicquot
Ein prickelnder Hauch von Orange - Hintergrund zum Fall
Im Jahr 1998 meldete das kultige Champagnerhaus Veuve Clicquot (genauer gesagt die Gesellschaft SA Veuve Cliquot Ponsardin, die Rechtsvorgängerin der jetzigen Streithelferin im Verfahren vor dem Gericht, MHCS) eine Gemeinschaftsmarke für einen ganz bestimmten Orangeton an:

Die Marke, die für "Champagne-Weine" vorgesehen war, wurde schließlich im Jahr 2007 nach einer Entscheidung der Beschwerdekammer des EUIPO eingetragen, in der festgestellt wurde, dass die Marke Unterscheidungskraft durch Benutzung für Champagne-Weine erworben habe.
Ungefähr ein Jahrzehnt später, im Jahr 2015, stellte Lidl sodann einen Löschungsantrag auf der Grundlage von Art. 52 Abs. 1 Buchst. a der Verordnung Nr. 207/2009 (jetzt Art. 59 Abs. 1 Buchst. a der Verordnung 2017/1001) in Verbindung mit Art. 7 Abs. 1 Buchst. a und b der Verordnung Nr. 207/2009 (jetzt Art. 7 Abs. 1 Buchst. a und b der Verordnung 2017/1001). Die Rechtssache gelangte schließlich 2024 vor das Gericht.
Das Gericht hatte eine Entscheidung der Vierten Beschwerdekammer des EUIPO zu überprüfen, in der das EUIPO zum einen die Auffassung vertrat, dass die streitige Marke die Voraussetzungen des Art. 4 der Verordnung Nr. 40/94 erfülle, und zum anderen, was noch wichtiger ist, dass die von der Streithelferin vorgelegten Beweise belegten, dass ein erheblicher Teil der maßgeblichen Verkehrskreise zum Zeitpunkt der Anmeldung dieser Marke an den durch die Marke geschützten Orangeton gewöhnt sei und dass daher kein Zweifel daran bestehe, dass die streitige Marke durch ihre Benutzung zum Zeitpunkt der Anmeldung Unterscheidungskraft im Sinne von Artikel 7 Absatz 3 der Verordnung Nr. 40/94 erworben habe.
Eine Farbmarke oder nur ein schöner Farbklecks?
Das Gericht stimmte zu, dass die Marke zu Recht als Farbemarke eingetragen worden war, und akzeptierte die Gültigkeit ihrer grafischen Darstellung - ein digital reproduziertes Farbmuster. Doch die entscheidende Frage blieb: Hatte Veuve Clicquot nachgewiesen, dass seine orange Farbe zum Zeitpunkt der Anmeldung der Marke in der gesamten EU Unterscheidungskraft erlangt hatte?
Erworbene Unterscheidungskraft: Nicht alle Beweise sind gleich
Das Urteil bietet einen Crash-Kurs darüber, was für den Nachweis der erworbenen Unterscheidungskraft in der EU erforderlich ist:
- Sekundäre vs. direkte Beweise: Bestimmten Beweismitteln wird eine größere Beweiskraft beigemessen als anderen.
Verkaufszahlen und Werbeausgaben sind zwar hilfreich, werden aber nur als sekundäres Beweismittel betrachtet. Sie können von Natur aus allenfalls unterstützenden Charakter als Beweismittel haben, reichen aber per se nicht aus, um den Nachweise der erworbenen Unterscheidungskraft zu führen. Im Gegensatz dazu haben direkte Beweise wie Erhebungen, Marktstudien oder Aussagen von Berufsverbänden mehr Gewicht.
- Die Anforderungen sind hoch: Die Marke muss in jedem einzelnen relevanten EU-Mitgliedstaat unterscheidungskräftig sein. Es ist zwar nicht erforderlich, für jedes Land identische Nachweise vorzulegen, aber der Gesamtnachweis muss die erworbene Unterscheidungskraft in der gesamten EU belegen, nicht nur in einem Teil oder in den meisten.
Vor diesem Hintergrund ist es möglich, dass der Nachweis, dass ein bestimmtes Zeichen Unterscheidungskraft durch Benutzung erworben hat, für mehrere Mitgliedstaaten oder sogar für die gesamte Europäische Union relevant ist. Insbesondere ist es möglich, dass die wirtschaftlichen Akteure für bestimmte Waren oder Dienstleistungen mehrere Mitgliedstaaten in ein und demselben Vertriebsnetz zusammengefasst haben und diese Mitgliedstaaten, insbesondere zu Zwecken der Vermarktungsstrategie, so behandelt haben, als handele es sich um ein und denselben nationalen Markt. Unter diesen Umständen ist der Nachweis für die Benutzung eines Zeichens auf einem solchen grenzüberschreitenden Markt wahrscheinlich für alle betroffenen Mitgliedstaaten relevant. Dasselbe gilt, wenn die maßgeblichen Verkehrskreise des einen Mitgliedstaats aufgrund der geografischen, kulturellen oder sprachlichen Nähe zwischen zwei Mitgliedstaaten ausreichende Kenntnisse über die Waren und Dienstleistungen haben, die auf dem nationalen Markt des anderen Mitgliedstaats angeboten werden.
Was ist bei Veuve Clicquot schief gelaufen?
Das Gericht war der Ansicht, dass Veuve Clicquot dieser Anforderung nicht gerecht geworden war:
- In Portugal und Griechenland gab es keine direkten Beweise für eine erworbene Unterscheidungskraft - wie etwa Verbraucherumfragen, Marktstudien oder Aussagen von Berufsverbänden.
- Der Versuch, die Ergebnisse französischer und belgischer Gerichte auf andere Mitgliedstaaten zu übertragen, war nicht ausreichend begründet, außer vielleicht im Falle Luxemburgs (wegen der sprachlichen und kulturellen Nähe zu Belgien).
- Insgesamt betonte das Gericht, dass Annahmen über die Marktpräsenz und den Bekanntheitsgrad nicht ausreichen - es werden harte Daten benötigt.
Damit ist aber noch nicht alles verloren: Die Beschwerdekammer hatte seinerzeit nicht geprüft, ob die ältere Marke zwischen ihrer Eintragung und der Stellung des Löschungsantrags Unterscheidungskraft durch Benutzung erworben hatte. Die Sache wurde daher zur Fortsetzung des Verfahrens an die Beschwerdekammer zurückverwiesen.
Lektionen für Markeninhaber
Diese Entscheidung ist eine klare Botschaft an Markeninhaber, die sich auf erworbene Unterscheidungskraft berufen wollen:
- Bereiten Sie sich darauf vor, einen hinreichenden Nachweis zu führen - und dies in aller Gründlichkeit. Vor allem in Fällen, in denen es um Farbmarken, Verpackungsformen oder andere nicht herkömmliche Zeichen geht, sind objektive Beweise entscheidend.
- Erhebungen sind wichtig. Marktstudien, die den Bekanntheitsgrad in der relevanten Öffentlichkeit in jedem Mitgliedstaat belegen, können den Ausschlag geben.
- Verlassen Sie sich nicht allein auf die Historie Ihrer Brand. Selbst eine jahrhundertealte Marke wie Veuve Clicquot muss einen aktuellen, quantifizierbaren Bekanntheitsgrad bei den Verbrauchern in allen erforderlichen Gebieten aufweisen.
- Ein schwaches Glied reicht aus. Wird die Unterscheidungskraft in nur einem Mitgliedstaat nicht nachgewiesen, kann die gesamte Anmeldung oder Eintragung scheitern.
Wir unterstützen Sie!
Wir beraten regelmäßig Mandanten, die sich mit den komplexen Fragen des Nachweises der erworbenen Unterscheidungskraft auseinandersetzen – und wissen aus Erfahrung, wie schwierig dieser Kampf sein kann. Ganz gleich, ob Sie EU-Markenschutz für eine einzigartige Verpackungsfarbe, eine Produktform oder ein nicht traditionelles Zeichen anstreben, wir unterstützen Sie bei Ihrer Strategie mit dem richtigen rechtlichen und beweiskräftigen Ansatz.
Benötigen Sie Hilfe bei der Beschaffung der richtigen Beweise? Oder möchten Sie vorhandene Beweise vor der Einreichung beim EUIPO oder vor Gericht auf Herz und Nieren prüfen? Kontaktieren Sie unser IP-Team.
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