Final Countdown: Die Regulierung von Online-Plattformen durch den Digital Services Act und den Digital Markets Act
1. Überblick
a) Digital Services Act (DSA)
Der DSA soll vor allem die zuvor geltenden Regelungen der E-Commerce-Richtlinie aus dem Jahr 2020 aktualisieren und zum Teil ablösen. Er gilt für alle sogenannten „Vermittlungsdienste“, die für Nutzer mit Niederlassungsort oder Wohnsitz in der Europäischen Union erbracht werden.
Der Begriff der Vermittlungsdienste ist sehr weit und erfasst zahlreiche Diensteanbieter. Anders als noch die E-Commerce-Richtlinie sieht der DSA ein gestuftes Pflichtensystem für Vermittlungsdienste vor. Die Pflichten variieren danachje nach Rolle, Größe und Auswirkung im Online-Umfeld, wobei sie sich zu jeder Stufe verschärfen. So gelten für alle Vermittlungsdienste allgemeine Pflichten, die auf jeder Stufe durch weitere spezielle Pflichten ergänzt werden. Unterschieden werden reine Vermittlungsdienste (Stufe 1), Hosting-Anbieter (Stufe 2), Online-Plattformen (Stufe 3) und sehr große Online-Plattformen bzw. sehr große Online-Suchmaschinen (Stufe 4):
Das Pflichtenportfolio ist entsprechend umfangreich. Im Wesentlichen ist davon Folgendes umfasst:
- Moderation von Inhalten: Online-Plattformen werden verpflichtet, Maßnahmen zur Bekämpfung illegaler und schädlicher Inhalte zu ergreifen. Dazu gehören insbesondere Hassrede, Terrorismuspropaganda, Kinderpornografie und Desinformation.
- Transparenz: Online-Plattformen werden verpflichtet, ihre Algorithmen und Geschäftspraktiken transparenter zu machen. Dies soll Nutzern ermöglichen, besser zu verstehen, wie ihre Daten verwendet werden und wie Inhalte moderiert werden.
- Manipulation: Online-Plattformen wird verboten, ihre Online-Schnittstellen so zu gestalten, dass Nutzer getäuscht, manipuliert oder anderweitig in ihrer Entscheidungsfreiheit beeinträchtigt werden. Damit soll insbesondere sog. „Dark Patterns“ ein Riegel vorgeschoben werden.
- Nutzerrechte: Der DSA stärkt die Rechte von Nutzern, insbesondere in Bezug auf den Schutz personenbezogener Daten, die Ausübung von Meinungsfreiheit und die Abwehr von Diskriminierung. Zudem wird der Schutz Minderjähriger erhöht.
Die Formulierung des Gesetzes ist jedoch teilweise schwammig und weit, sodass es viele Unklarheiten und sogar Grauzonen geben dürfte. Hier werden bald die Gerichte gefragt sein, um für mehr Rechtssicherheit zu sorgen.
b) Digital Markets Act (DMA)
Mit dem DMA sollen faire Wettbewerbsbedingungen in den digitalen Märkten geschaffen und die Rechte und Daten der Nutzer besser geschützt werden. Zu diesem Zweck werden der Europäischen Kommission weitreichende Interventionsbefugnisse eingeräumt, um rechtzeitig gegen Wettbewerbsverzerrungen vorgehen zu können.
Der DMA adressiert vor allem große Online-Plattformen mit der Stellung eines sogenannten Gatekeeper („Torwächter“). Darunter fallen Unternehmen, welche erheblichen Einfluss auf den Binnenmarkt haben, deren Plattformdienst gewerblichen Nutzern als wichtiges Zugangstor zu Endnutzern dient und über eine gefestigte und dauerhafte Marktposition verfügt. Konkret erfasst sind davon Unternehmen, die in den vergangenen drei Jahren einen Jahresumsatz von 7,5 Mrd. Euro und 45 Millionen End- sowie 10.000 gewerbliche Nutzer in der EU haben. Die ersten sechs Gatekeeper hatte die EU-Kommission am 6. September 2023 benannt:
Im Kern des DMA stehen Verpflichtungen für diese Gatekeeper in Form von Dos und Don’ts (insbesondere in Art. 5 und 6 DMA). Diese betreffen vor allem folgende Aspekte:
- Verbot der Selbstbegünstigung: Gatekeeper dürfen ihre eigenen Produkte oder Dienstleistungen nicht gegenüber denen von Wettbewerbern bevorzugen.
- Verbot von Datenmissbrauch: Gatekeeper dürfen Nutzerdaten nicht zusammenführen und weiterverwenden und nicht für Zwecke nutzen, die nicht mit dem ursprünglichen Zweck der Datenerhebung vereinbar sind. Insbesondere dürfen sie Daten nicht im Wettbewerb mit gewerblichen Nutzern verwenden.
- Verbot von Abhängigkeit: Gatekeeper dürfen nicht Maßnahmen ergreifen, die dazu führen, dass Nutzer von ihren Diensten abhängig werden. Insbesondere dürfen Gatekeeper die Nutzung eines Dienstes nicht von der Nutzung eines anderen Dienstes abhängig machen und müssen eine Interoperabilität mit anderen Kommunikationsdiensten ermöglichen.
Ab ihrer Ernennung durch die EU-Kommission haben die Gatekeeper sechs Monate Zeit, die Verpflichtungen umzusetzen. Für die bereits ernannten Gatekeeper läuft diese Frist also Anfang März 2024 ab.
c) Sanktionen
Bei Pflichtverstößen drohen vor allem hohe Geldbußen, im Falle des DMA bis zu 25% des Jahresumsatzes, im Falle des DSA bis zu 6% des Jahresumsatzes. Festgelegt werden die Sanktionen durch die Mitgliedstaaten.
2. Auswirkungen von DSA und DMA auf Online-Plattformen
Die beiden Gesetze haben weitreichende Auswirkungen, von denen wir einzelne Aspekte im Folgenden näher in den Blick nehmen wollen.
a) Haftungsregime nach dem DSA
Entgegen der ursprünglichen Erwartung angesichts der vielen Debatten um eine Verschärfung der Haftung von Plattformbetreibern hat die EU-Kommission das Haftungsregime der E-Commerce-Richtlinie weitestgehend unverändert in den DSA übernommen.
Danach können etwa Online-Plattformen als sog. Hostingdiensteanbieter von einer Haftungsprivilegierung profitieren, sofern sie die Dienstleistung auf neutrale Weise und durch die rein technische und automatische Verarbeitung der von Nutzern bereitgestellten Informationen erbringen.
In diesem Falle haften Betreiber von Online-Plattformen für Fremdinhalte erst dann, wenn sie nach Kenntniserlangung rechtswidrige Inhalte nicht entfernen.
Somit gibt es weiterhin keine proaktive Überwachungs- und Nachforschungspflicht der Diensteanbieter hinsichtlich der Rechtmäßigkeit der Inhalte auf ihrer Plattform (so ausdrücklich in Art. 8 DSA).
Ein zentraler Aspekt des DSA ist zudem, dass rechtswidrige Inhalte schnell und effizient entfernen werden müssen. Insbesondere müssen Hostingdiensteanbieter zu diesem Zweck ein benutzerfreundliches Notice-and-Takedown-Verfahren einrichten, über welches Nutzer digitale Inhalte melden können und im Falle von Rechtsverletzungen effektiv Abhilfe geschaffen wird (Art. 16 DSA).
Neu ist in diesem Zusammenhang die Regelung, dass freiwillig auf Eigeninitiative veranlasste Untersuchungen oder andere Maßnahmen, die auf die Einhaltung von Rechtsvorschriften abzielen, die Haftungsprivilegien nicht ausschließen (Art. 7 DSA).
b) Giganten im Visier
Im Fokus von DSA und DMA stehen die ganz Großen – im Fall des DMA die oben schon erwähnten Gatekeeper. Im Fall des DSA sind dies die „very large online platform“ und „very large online search engines“ bzw. „sehr große Online-Plattform“ und „sehr große Online-Suchmaschine“, die im Pflichtensystem des DSA auf der höchsten Stufe stehen.
Für letztere gelten neben allgemeinen Pflichten aus dem DSA zusätzliche Pflichten in Bezug auf AGB, Minderjährigenschutz, Transparenz der Online-Werbung und Einrichtung einer Compliance-Abteilung. Zudem müssen sie neue Funktionen einer Risikoanalyse hinsichtlich der Verbreitung rechtswidriger Inhalte oder nachteiliger Auswirkungen auf die öffentliche Sicherheit unterziehen. Darüber hinaus müssen eine Aufsichtsgebühr entrichten, mit welcher die Kosten der Kommission für die Rechtsdurchsetzung gedeckt werden sollen. Der mit der Umsetzung der Vorschriften einhergehende organisatorische und wirtschaftliche Aufwand ist nicht zu unterschätzen.
Die Kategorie der sehr großen Online-Plattform erfüllen Anbieter, die durchschnittlich über mehr als 45 Millionen aktive monatliche Nutzer in der EU verfügen. Die Einstufung erfolgt per Beschluss der Europäischen Kommission. Eine erste Benennung gab es bereits. Erfasst sind unter anderem Online-Plattformen wie Amazon, Google, Facebook, X (ehemals Twitter), TikTok, Booking.com und Zalando.
Einige der davon betroffenen Unternehmen, darunter Amazon, sind bereits gegen ihre Einstufung als sehr große Online-Plattform sowie die Konsequenzen der Einstufung vor Gericht gezogen. Im Rahmen eines Eilverfahrens erzielte Amazon einen ersten Teilerfolg. Das Gericht der Europäischen Union setzte die Verpflichtungen Amazons zur Veröffentlichung eines Werbeanzeigenverzeichnisses nach dem DSA zunächst aus mit der Begründung, dass Amazon anderenfalls ein schwerwiegender und nicht wiedergutzumachender Schaden entstehe. Eine Entscheidung in der Hauptsache steht noch aus.
Auch die EU-Kommission hat bereits rechtliche Schritte eingeleitet und am 18. Dezember 2023 erstmalig ein Verfahren unter dem DSA eröffnet – gegen die Online-Plattform X. Der Vorwurf lautet unter anderem, dass X entgegen der gesetzlichen Vorschriften nicht hinreichend gegen illegale und irreführende Inhalte vorgegangen sei.
Dies dürfte aber erst der Anfang im Kampf der EU-Kommission gegen die Giganten sein, denn bereits im Oktober letzten Jahres hatte diese angekündigt, entsprechende Verfahren auch gegen Meta und TikTok einleiten zu wollen.
3. Zusammenfassung
4. Schlussfolgerungen für Ihr Unternehmen
Das Reformpaket von DSA und DMA führt eine Reihe an neuen Vorschriften und Verpflichtungen ein. Auch wenn dabei die genannten „sehr großen Online-Plattformen“ und Gatekeeper im Fokus stehen, sind letztlich alle digitalen Diensteanbieter potentiell betroffen.
Bis zum 17. Februar 2024 müssen alle „Vermittlungsdienste“ die weitreichenden Verpflichtungen des DSA erfüllt haben. Es bleibt also nicht mehr viel Zeit.
Zudem sollte der mit der Umsetzung einhergehende organisatorische, technische und rechtliche Aufwand nicht unterschätzt werden. Es empfiehlt sich daher, frühzeitig die Identifikation, Analyse und Umsetzung der erforderlichen Schritte anzugehen.
Gerade aufgrund der teilweise noch bestehenden regulatorischen Unklarheiten, dürfte es nicht nur für die Giganten unter den Unternehmen im digitalen Markt eine große Herausforderung sein, dabei den Überblick zu behalten.
Daher empfehlen wir Ihnen, wie folgt vorzugehen:
- Identifikation: Unternehmen sollten überprüfen, ob und inwieweit der DSA und/oder DMA auf sie anwendbar ist.
- Analyse: Sofern Unternehmen den Regelungen unterfallen, sollte geprüft werden, ob und welcher konkrete Handlungsbedarf sich daraus ergibt.
- Umsetzung: Sofern Handlungsbedarf besteht, sollten bei der Umsetzung insbesondere zeitliche Vorgaben und andere bestehende Gesetze im Blick behalten werden.
- Monitoring: Die vorstehend genannten Punkte sollten regelmäßig überprüft werden, da ein Verstoß erhebliche Sanktionen zur Folge haben kann.
Gerne beraten wir Sie auch hinsichtlich der erforderlichen Schritte und der strategischen Umsetzung.
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