Die Erheblichkeitsschwelle bei der Aktivlegitimation von Mitbewerbern im UWG – Herausforderung und Chance zugleich
1. Der Hintergrund
Mit dem Gesetz zur Stärkung des fairen Wettbewerbs (BGBl. I Nr. 56 S. 2568 ff.) hat der Gesetzgeber mit Wirkung zum 2. Dezember 2020 die Aktivlegitimation von Mitbewerbern eingeschränkt. Nach § 8 Abs. 3 Nr. 1 UWG nF stehen wettbewerbsrechtliche Beseitigungs- oder Unterlassungsansprüche nur noch solchen Mitbewerbern zu, die Waren oder Dienstleistungen in „nicht unerheblichem Maße und nicht nur gelegentlich“ vertreiben oder nachfragen. Verlangt wird demnach, dass der Mitbewerber tatsächlich am Markt teilnimmt und seine Geschäftstätigkeit eine gewisse Erheblichkeitsschwelle überschreitet. Dies hat er bei der Anspruchsverfolgung darzulegen und gegebenenfalls auch zu beweisen. Das gilt selbst verständlich bereits bei der Abmahnung:
Der Abmahnende kann von dem Abgemahnten nur dann gemäß § 13 Abs. 3 UWG nF Aufwendungsersatz für die Abmahnung verlangen wenn er in der Abmahnung klar und verständlich die Voraussetzungen seiner Anspruchsberechtigung darlegt, also insbesondere auch, dass er die neue Erheblichkeitsschwelle des § 8 Abs. 3 Nr. 1 UWG nF überschreitet. Daher hat die Einschränkung der Aktivlegitimation auch Auswirkungen auf die Frage, ob von der Gegenseite die Erstattung der Abmahnkosten verlangt werden kann. Finden sich zum überschreitende Erheblichkeitsschwelle keine Angaben, so fehlt es an einer Darlegung der Anspruchsvoraussetzungen.
Wie bereits bei Einführung der neuen Regelung vielfach erwartet, bereitet insbesondere die Auslegung des unbestimmten Rechtsbegriffs „in nicht unerheblichem Maße“ Schwierigkeiten.
Erste Hilfe bieten die Ausführungen des Gesetzgebers selbst in der Gesetzesbegründung (vgl. BT-Drs. 19/12084, 26). Demnach sollen keine „zu hohen Hürden an Umfang und Dauer der Geschäftstätigkeit gestellt werden“, wobei jedoch nicht ausreiche, wenn der Mitbewerber „Waren oder Dienstleistungen lediglich anbietet“. Zudem müsse derjenige Mitbewerber, der „eine größere Anzahl an Abmahnungen“ ausspreche, auch eine entsprechend größere Geschäftstätigkeit nachweisen. Der Nachweis könne durch „Größenkategorien der Zahl der Verkäufe oder ähnlichem“ belegt werden.
In der Kommentarliteratur wurde zur Beantwortung der Frage der Erheblichkeit eine Prüfung aller Umstände des Einzelfalls gefordert (vgl. Harte-Bavendamm/Henning-Bodewig/Goldmann, UWG, 5. Aufl. 2021, § 8 Rn. 371; Köhler/Bornkamm/Feddersen, UWG, 42. Aufl. 2024, § 8 Rn. 3.29b; BeckOK/Haertel, UWG, 22. Edition, Stand: 1. Oktober 2023, § 8 Rn. 168; Ohly/Sosnitza, UWG, 8. Aufl. 2023, § 8 Rn. 95). Dieser Forderung ist die Rechtsprechung gefolgt. Als Beurteilungskriterien, die bei der Prüfung herangezogen werden können, kommen etwa die Markt- und Anbieterstruktur, der Spezialisierungsgrad, die Anzahl der Nachfrager, die übliche wirtschaftliche Größe von Wettbewerbern auf dem betreffenden Markt, der Anschaffungspreis für die betroffenen Güter, deren Beschaffungsintervall und die Gewinnmarge pro Transaktion in Betracht (vgl. Harte-Bavendamm/Henning-Bodewig/Goldmann UWG, 5. Aufl. 2021, § 8 Rn. 371).
2. Die Rechtsprechung
Inzwischen gibt es erste Entscheidungen dazu, wie die neue Vorschrift in der Rechtspraxis tatsächlich angewendet wird und aus denen sich einige Schlüsse für die eigene Prozessführung ziehen lassen.
So hat der BGH bereits sowohl bestätigt, dass keine zu hohen Hürden an Umfang und Dauer der Geschäftstätigkeit gestellt werden dürfen, als auch, dass bei der Prüfung der Erheblichkeit die Umstände des jeweiligen Einzelfalls zu berücksichtigen sind (vgl. BGH, Urt. v. 24. Februar 2022, Az. I ZR 128/21 – Zweitmarkt für Lebensversicherungen II). Er folgt damit der Gesetzesbegründung und den Forderungen aus dem Schrifttum.
Natürlich ist damit noch keine genaue Untergrenze für die erforderliche Geschäftstätigkeit gezogen. Eine solche lässt sich in Anbetracht der erforderlichen Einzelfallprüfung auch nicht ziehen. Gar keine Geschäftstätigkeit ist aber selbstverständlich unzureichend.
Zudem kann die Aktivlegitimation auch im Laufe eines Verfahrens entfallen, nämlich wenn eine eigentlich hinreichende Geschäftstätigkeit während der Verfahrensdauer gänzlich eingestellt wird (vgl. BGH, Vers.-Urt. v. 23. März 2023, Az. I ZR 17/22 – Aminosäurekapseln). Denn der auf Wiederholungsgefahr gestützte und in die Zukunft gerichtete Unterlassungsanspruch besteht nach ständiger Rechtsprechung nur, wenn das beanstandete Verhalten sowohl zum Zeitpunkt seiner Vornahme rechtswidrig war als auch zum Zeitpunkt der Revisionsentscheidung rechtswidrig ist (vgl. BGH, Urt. v. 24. Februar 2022, Az. I ZR 128/21 – Zweitmarkt für Lebensversicherungen II; BGH, Urt. v. 2. Juni 2022, Az. I ZR 140/15 – YouTube II).
Damit ist ein Wegfall der Aktivlegitimation jedenfalls bis zum Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung vor dem Berufungsgericht als letzter Tatsacheninstanz ohne Weiteres möglich. Darüber hinaus kann aber auch ein Wegfall der Geschäftstätigkeit, der sich erst in der Revisionsinstanz ereignet, noch zu beachten sein, etwa dann, wenn entsprechender neuer Sachvortrag in der Revisionsinstanz durch den ursprünglichen Kläger unbestritten bleibt (vgl. BGH, Vers.-Urt. v. 23. März 2023, Az. I ZR 17/22 – Aminosäurekapseln). Dementsprechend ist es dringend zu empfehlen, neuen Vortrag der Gegenseite zur Aktivlegitimation auch in der Revisionsinstanz nicht unbestritten zu lassen.
Bleibt Vortrag des Mitbewerbers zu seiner Geschäftstätigkeit unkommentiert oder wird dieser nicht substantiiert bestritten, begnügen sich die Gerichte erwartungsgemäß zumeist damit, das Überschreiten der Erheblichkeitsschwelle mit wenigen Worten anzunehmen (vgl. BGH, Urt. v. 13. Januar 2022, Az. I ZR 25/19 – Inbox-Werbung II; KG, Hinweisbeschl. v. 12. Mai 2022, Az. 5 U 139/19 – KING 01 und QUEEN 01).
Teils wird die erforderliche Aktivlegitimation auch weiterhin mit einer schlichten Feststellung der Mitbewerbereigenschaft festgestellt (vgl. OLG Frankfurt a. M., Urt. v. 18. August 2022, Az. 6 U 56/22 – Prelaunch-Activities; OLG Frankfurt a. M., Urt. v. 16. Februar 2023, Az. 6 U 157/22 – Klimaneutrale Hygiene; LG München I, Urt. v. 5. Mai 2021, Az. 37 O 2254/21 – Pauschaler Fälschungsvorwurf). Dies ist ungenau, da es das neue Tatbestandsmerkmal außer Acht lässt. Es kommt eben nicht mehr nur allein auf die Mitbewerberstellung an.
Abzulehnen ist auch die Herleitung der erforderlichen Aktivlegitimation eines Möbelherstellers allein aus dessen Herstellereigenschaft (a.A. OLG Düsseldorf, Urt. v. 2. Juni 2022, Az. 20 U 259/20 – Modulares Möbelbausystem), da diese nichts über den Vertriebsumfang der in Rede stehenden Waren aussagt.
Ebenso unzureichend dürfte die Vorlage von Screenshots der eigenen Website eines Schnelltest-Anbieters sein, auf denen er mehrere Corona-Schnelltests zum Kauf anbietet (a.A. OLG Brandenburg, Beschl. v. 17. Januar 2023, Az. 6 U 26/22 – Corona-Schnelltest für Fachpersonal). Schließlich kann dadurch eine rein pro forma Betätigung des Mitbewerbers zur Geltendmachung wettbewerbsrechtlicher Ansprüche nicht ausgeschlossen werden. Das Abstellen auf derartige Screenshots widerspricht zudem der Gesetzesbegründung, nach der ein reines Anbieten von Waren oder Dienstleistungen gerade nicht ausreichen soll (vgl. BT-Drs. 19/12084, 26).
Freilich zutreffend bejaht wurde das Überschreiten der Erheblichkeitsschwelle bei einem eidesstattlich versicherten Verkauf von 175.00 Flaschen Schaumwein und hiermit erzielten Umsätzen im siebenstelligen Euro-Bereich (vgl. OLG München, Beschl. v. 12. Juli 2022, Az. 29 W 739/22 – Premium Spritz) sowie bei mit einer Halal-Truthahnsalami erzielten jährlichen Umsätzen zwischen EUR 298.178,00 und EUR 449.156,00, die eine Marktführerschaft des Mitbewerbers auf dem deutschen Markt bei einem Marktanteil von 70 Prozent begründeten (vgl. LG Köln, Urt. v. 24. November 2022, Az. 33 O 82/22 – Truthahnsalami).
Sind vorgetragene Umsatzzahlen zwischen den Parteien streitig, ist darüber Beweis nach den Beweisangeboten des Mitbewerbers zu erheben. Im Rahmen des Zeugenbeweises können auch Zeugen, die die Richtigkeit der behaupteten Umsatzzahlen nicht aus eigener Wahrnehmung bestätigen können, grundsätzlich als Zeugen „vom Hörensagen“ in Betracht kommen. Ob die Vorlage einer E-Mail aus der Buchhaltung, mit der Umsatzzahlen eines Prostatapräparat-Herstellers belegt werden sollten (EUR 4.866.071,00 über die letzten 10 Jahre), durch einen in dem wissenschaftlichen Bereich des Unternehmens tätigen Zeugen ohne Zugang zu der Buchhaltungssoftware für die Annahme der erforderlichen Aktivlegitimation ausreichen, ist allerdings mehr als fraglich (so aber LG Hamburg, Urt. v. 26. Oktober 2023, Az. 312 O 13/22 – Prostata-Zäpfchen).
Gleichwohl lässt sich eine klare Tendenz der Gerichte dahingehend ableiten, bei der Feststellung der erforderlichen Geschäftstätigkeit einen äußerst großzügigen Maßstab anzulegen.
3. Fazit für Ihr Unternehmen
Je nachdem, ob Ihr Unternehmen eine Wettbewerbsverletzung verfolgen oder sich gegen den Vorwurf einer Wettbewerbsverletzung verteidigen, ergeben sich dementsprechend unterschiedliche Schlussfolgerungen:
a) Aus Sicht des Abmahnenden/Klägers
- Vollständigkeit der Abmahnung: Die Voraussetzungen der Anspruchsberechtigung in Ihrer Abmahnung müssen vollständig, klar und verständlich dargelegt werden. Insbesondere dürfen Ausführungen zu dem Umfang Ihrer Geschäftstätigkeit nicht vergessen werden. Anderenfalls könnten Sie auf den Kosten der Abmahnung sitzen bleiben.
- Vollständiger Klagevortrag: Im Falle eines streitigen Verfahrens gilt dies freilich auch für die Klagebegründung. Wird es versäumt, die erforderliche Geschäftstätigkeit darzulegen und unter Beweis zu stellen, droht die Klageabweisung.
- Augen auf bei den Beweisangeboten: Überlegen Sie genau, welche Beweisangebote Sie für den Beweis der erforderlichen Geschäftstätigkeit unterbreiten. Zeugenbeweise sind anfällig. Überreichen Sie Auszüge aus Datenbanken oder vergleichbare Dokumente, damit die Gegenseite Ihren Vortrag nur noch substantiiert bestreiten kann.
b) Aus Sicht des Abgemahnten/Beklagten
- Prüfung gegnerischer Abmahnungen: Prüfen Sie Abmahnungen von Mitbewerbern genau. Fehlen die Ausführungen zum Umfang der Geschäftstätigkeit, können Sie die Erstattung von Abmahnkosten vermeiden.
- Bestreiten im Klageverfahren: Rügen Sie fehlende Ausführungen auch im Klageverfahren und weisen Sie das Gericht darauf hin, dass in diesem Falle die Klage abweisungsreif ist. Bestreiten Sie den Vortrag des Klägers und zwingen Sie ihn in die Beweisaufnahme. Dies gilt auch in späteren Instanzen. Denn die Aktivlegitimation kann auch im Laufe eines Verfahrens noch entfallen.
Selbstverständlich stehen wir Ihnen bei allen Schritten umfassend zur Seite. Sprechen Sie uns gerne an.
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